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Vorwort:

Die göttliche Offenbarung und Eingebung ist in allen Lebewesen vorhanden, unterscheidet sich jedoch in seiner Stufe. Die höchste Stufe ist den Propheten eigen, und der Meister Morteza Motahari (rh.) befasst sich hier ausführlich mit diesem Thema.

Aus dem hl. Koran geht hervor, dass die Offenbarung, die den Propheten eingegeben wird, eine Wahrheit ist, die mehr oder weniger in allen Dingen existiert, auch in Gegenständen, geschweige denn in Pflanzen, Tieren, und Menschen, die keine Propheten sind. Der Koran vergleicht die Offenbarung des Weiteren mit einer Art Rechtleitung:

„…und jedem Himmel wies Er seine Aufgabe zu.“[1]

Im Falle der Tiere wird auch der Begriff der Offenbarung benützt, und bei den Wesen des Pflanzenreiches kommt dieser Begriff selbst nicht vor, sehr wohl aber Begriffe mit ähnlicher Bedeutung. Diese Form der Führung, die auch in leblosen Gegenständen existiert bedeutet, dass es ein spirituelles Licht gibt, das all diese Dinge beleuchtet und sie anführt. Dieses Licht wird in allen Fällen „Offenbarung“ genannt, hat aber verschiedene Stufen. Sie ist in leblosen Gegenständen und in Pflanzen nicht dasselbe, und wenn wir diese beiden Fälle schon vergleichen wollen, dann könnten wir dies am Beispiel zweier Kräfte mit verschiedenem Ausmaß tun. Auch die Rechtleitung der Pflanzen ist nicht dieselbe, wie die der Tiere, sie haben also nicht dasselbe Ausmaß. Ebenfalls unterschiedliche Stärken weist diese Rechtleitung im Vergleich zwischen Tieren und Menschen, sowie zwischen gewöhnlichen Menschen und Propheten auf, wobei sie im Falle der Propheten einen Höhepunkt erreicht und eine Rechtleitung darstellt, die einem Lebewesen direkt aus der Welt des Verborgenen zuteilwird. Auch den Worten des hl. Propheten (s.) kann entnommen werden, dass die Offenbarung sich grundsätzlich von dem, was den Menschen eingegeben wird unterscheidet, und zwar in ihrer Beschaffenheit, wie man es am Beispiel einer Überlieferung sehen kann, die sowohl von schiitischen als auch von sunnitischen Tradenten vom hl. Propheten (s.) überliefert wurde. Der Edelmutige (s.) sagt: „Ein Traum, der zur Wahrheit wird, ist der siebzigste Teil des Prophetentums.“ Damit sagt der Unfehlbare (s.) aus, dass ein derartiger Traum[2] etwa einem schwachen Lichtstrahl gleichzusetzen ist, der nur ein Siebzigstel der Stärke besitzt, die der Offenbarung eigen ist. Es muss allerdings daran erinnert werden, dass hier die Zahl siebzig, vor allem im arabischen Sprachgebrauch nicht wirklich die Zahl zwischen 69 und 71 ausdrücken will, sondern eine im Allgemeinen große Zahl. Auch im persischen Sprachgebrauch gibt es die Hyperbel: „Ich habe es dir siebzig Mal schon gesagt!“, wobei das zuerst Ausgesprochene natürlich nicht so oft wiederholt wurde.

Als Nächstes möchten wir sehen, wie die Propheten selbst dieses Phänomen beschreiben, welches in ihnen so stark und in solch hohem Ausmaß vorhanden ist, anderen Menschen aber verwehrt bleibt. Nachdem wir ihr Sinnbild davon verinnerlicht haben, können wir selbst dazu eine Theorie entwerfen, die die Offenbarung aus wissenschaftlicher sowie philosophischer Sicht zu beschreiben versucht.

Die Beschaffenheit der prophetischen Offenbarung

  1. Die Offenbarung ist innerlich

Eine Eigenheit, die der Offenbarung zugeschrieben wird ist, dass sie innerlich ist. Sie wird also nicht auf dieselbe Art wahrgenommen, wie unsere Sinneswahrnehmungen. Sie sehen oder hören die Offenbarung nicht so, wie wir etwas hören oder sehen, was uns jemand sagt oder zeigt. Die Propheten nahmen die Offenbarung durch ihr Inneres auf. Oft lesen wir, wenn der Zustand des hl. Propheten während des Empfangs der Offenbarung beschrieben wird, dass die Sinne des hl. Propheten (s.) aussetzten, er in einen Zustand ähnlich der Ohnmacht verfiel, so dass er scheinbar das Bewusstsein verlor. Seine Augen glichen jemandem, der schläft und daher nichts sehen kann und seine Ohren hörten nicht. Sein Zustand unterschied sich hier von seinem normalen Zustand dadurch, dass er zunächst schwer wurde, und dann zu Schwitzen anfing, so dass man die Schweißtropfen auf seiner Stirn sehen konnte. Der hl. Koran sagt:

„die von Gabriel, dem Vertrauenswürdigen, herabgebracht worden ist auf dein Herz“[3]

Der Zustand des wahrhaftigen Traums ist eigentlich ein gänzlich anderer, doch auch dort sind die Augen der Menschen zu und sie können das Gehörte nicht wahrnehmen. Die Beschaffenheit eines solchen Traums ist unbekannt, doch es besteht kein Zweifel darin, dass etwas, was sich zwischen die menschliche Seele und etwas anderem stellt, was ihm von der Zukunft berichtet, sich nicht anhand der fünf Sinne der Menschen verständigt. Dies geschieht über eine mysteriöse Methode, und der Mensch nimmt das eingegebene in seinem Inneren wahr. Mit wem der Mensch nun während eines wahrhaftigen Traums Kontakt aufnimmt und wie er das macht, ist uns unbekannt, und es muss hier auch nicht diskutiert werden. Es besteht aber kein Zweifel darin, dass alle Instinkte und alle Eingebungen mit dem Inneren zu tun haben. Wie steht es nun um die Dinge, die den leblosen Gegenständen eingegeben werden? Sind diese auch innerlich? Und wie ist es um die Pflanzen bestellt? Haben diese ein Wahrnehmungsvermögen, das auf äußere Stimuli reagiert? Wir wissen nur, dass im Inneren einer Pflanze eine führende Kraft existiert, die sie leitet, so wie die Tiere einen Instinkt besitzen. Die Wissenschaft konnte trotz all ihrer Fortschritte nicht herausfinden, wie das Tier einen Instinkt bekommt, ohne dass es diesen lernt oder sich im Laufe der Zeit aneignet. Es scheint einfach gewisse Dinge zu wissen, und richtet sein Verhalten danach. Auch die Genetik kann dies nicht erklären, somit ist klar, dass es sich bei all diesen Dingen um etwas handelt, was dem Inneren entspringt.

  1. Ein Lehrer

Es muss einen Lehrer geben, und dies entnimmt man den verschiedenen Erzählungen, was auch sehr betont werden muss. Es gibt eine Kraft, etwas, was einen belehrt. Wenn wir also sagen, dass etwas nicht äußerlich ist, also nicht durch die Sinnesorgane wahrgenommen wird, ist hier auch nicht die Rede von einem Lehrer im herkömmlichen Sinne, es handelt sich hier nicht um empirisch angeeignetes Wissen. Es ist damit aber auch nicht gesagt, dass es gar keinen „Lehrer“ gibt, und dass es der menschlichen Natur selbst entspringt. Die menschliche Natur ist an und für sich unwissend, diese Information ist nicht im menschlichen Hirn gespeichert, und der Koran betont dies.

„Hat Er dich nicht als Waise gefunden und aufgenommen, und dich auf dem Irrweg gefunden und richtig geführt, und dich dürftig gefunden und reich gemacht?“[4]

„Das ist einer der Berichte von den verborgenen Dingen, die Wir dir offenbaren. Zuvor kanntest du sie nicht, weder du noch dein Volk. So harre denn aus; denn der Ausgang entscheidet zugunsten der Gottesfürchtigen“[5]

„Allah hat das Buch und die Weisheit auf dich herabgesandt und dich gelehrt, was du nicht wußtest“[6]

Was jemand nicht weiß, wird ihm gelehrt und er kann es nicht alleine erfahren.

„Gelehrt hat ihn einer, der über starke Macht verfügt“[7]

Wer hier nun mit „der über starke Macht verfügt“ gemeint ist, ist der Lehrer, ob hier nun Gott gemeint ist oder der Erzengel Gabriel. Zweifelsohne wird hier vom Lehren gesprochen, und es handelt sich nicht um etwas wie den tierischen Instinkt. Der Instinkt der Tiere wird ihnen nicht beigebracht. Auch bei Eingebungen, die sich in Menschen ereignen, wie z.B. bei Wissenschaftlern – die an eine solche Eingebung glauben. Ein Wissenschaftler, der behauptet, dass ihm plötzlich eine Theorie eingefallen ist, weiß nur, dass er es vorher nicht wusste und dass es plötzlich seinem Verstand eingegeben worden ist. Er spürt aber nicht, woher es kommt, und dass er es mit einem Lehrer zu tun hat, weil er mit niemand anderem Kontakt hatte. Die Propheten aber spüren ihren eigenen Erläuterungen nach die Anwesenheit eines solchen Lehrers. Sie wissen, dass ihnen etwas eingegeben wird, was sie nicht wussten und sie spüren den Lehrer, also haben sie einen Lehrer. Eine zweite Eigenheit ist also, dass es einen Lehrer gibt und dass hier Wissen vermittelt wird.

  1. Bewusstsein

Die dritte Eigenschaft ist, dass den Propheten bewusst war, wie ihnen geschieht. Sie empfingen etwas und es war ihnen bewusst, dass sie etwas von einem anderen Ort empfangen.

Wenn wir auf einem Unterricht sind ein Lehrer anwesend ist, ist uns bewusst, dass wir ihm gegenüber sitzen, auf ihn hören, und beherzigen, was er uns sagt. Ein Prophet hat eine ähnliche Erfahrung, doch befindet sich der Lehrer in seinem Fall an einem anderen Ort, er ist nicht in dieser Welt, die wir sehen können. Der hl. Prophet war einst darüber beunruhigt, dass er vergessen könnte, was ihm gesagt wird, also empfing er es und sprach es aus, damit er es nicht vergisst, da wurde ein Vers offenbart, der ihm sagte, er sollte dies nicht mehr tun:

„Und überhaste dich nicht mit dem Qur`an, ehe seine Offenbarung dir nicht vollständig zuteil geworden ist“[8]

In einem anderen Vers wurde offenbart:

„Wir werden dir (den Qur`an) verlesen lassen, und du sollst (ihn) nicht vergessen“[9]

Dem hl. Propheten wurde zugesichert, dass er das ihm offenbarte nicht vergessen wird. Er brauche sich also nicht zu fürchten und könne in Ruhe empfangen, was ihm offenbart wird. Als Lehrer sieht man oft einen Studenten, der alles, was man erklärt gleichzeitig niederschreibt. Dem sagt man als Lehrer oft, dass er nicht gleichzeitig schreiben, sondern lieber zuhören soll, damit er es richtig versteht und sich merken kann, und es dann später niederschreibt. Dasselbe wurde dem hl. Propheten während der Offenbarung gesagt, nämlich dass er sich nicht während der Offenbarung anzustrengen brauche, damit er es nicht vergisst. Dort wurde ihm aber nicht gesagt, dass er es später wiederholen oder niederschreiben soll, es wurde ihm zugesichert, dass er es nicht vergessen wird.

  1. Die Mittel der Offenbarung

Auch die Offenbarung hat ein Mittel, dies kann nicht geleugnet werden. Es ist eine Tatsache, der man zu glauben hat, weil die Engelswesen im Koran erwähnt worden sind, und diese himmlische Schrift betont, dass wir an sie glauben sollen:

„Der Gesandte glaubt an das, was ihm von seinem Herrn herabgesandt worden ist, ebenso die Gläubigen; sie alle glauben an Allah und an Seine Engel und an Seine Bücher und an Seine Gesandten.“[10]

Dieser Glaube ist eine Voraussetzung. Die monotheistischen Propheten empfangen die Offenbarung üblicherweise[11] durch eine andere Entität, und nicht direkt durch Gott. Diese Entität ist die anvertraute Seele, oder der Heilige Geist. Er hat auch andere Namen und Bezeichnungen, wie z.B. „Gabriel“. Der Prophet nimmt das ihm Offenbarte durch diese Entität war, spürt sie aber auch selbst. Bei Instinkten und Eingebungen ist dies nicht der Fall, und es wird keine solche Entität wahrgenommen.

Angesichts all dessen, was auch von den göttlichen Sachwaltern selbst erwähnt wurde, sollten wir sehen, welche Theorie man annehmen kann. Theorie, weil im Thema der Offenbarung noch niemand behauptet hat, sie 100% verstanden zu haben, dies können nur die Propheten.

Die Theorie der Islamwissenschaftler über die Offenbarung

Unseres Erachtens ist diese die beste Theorie.

Der Mensch entspricht, anhand seiner seelischen Kapazitäten und Talente einem doppelseitigen Wesen. Wir besitzen eine Seele und bestehen nicht nur aus diesem materiellen Körper, so hat unsere Seele zwei Seiten, und eine dieser Seiten ist unsere Natur.

Der Mensch gewinnt die herkömmlichen Kenntnisse durch seine Sinnesorgane. Unsere Sinnesorgane bilden prinzipiell die Schnittstelle zwischen uns und der Natur. Was wir durch unsere Sinnesorgane wahrnehmen, geben wir an unser Gedächtnis weiter, wo es dann eine Stufe höher geht und verallgemeinert wird. Das wahrgenommene wird abstrahiert und generalisiert (und dies ist laut den Wissenschaftlern bereits der Stufe der Wahrnehmung übergeordnet, wir möchten hier aber nicht weiter auf Details eingehen). Es wird aber auch gesagt, dass die menschliche Seele auch eine weitere Seite hat, die denselben Ursprung hat wie die übernatürliche Welt. Je mehr sie sich auf dieser Seite weiterentwickelt hat, desto mehr Kontakte kann sie zur übernatürlichen Welt knüpfen.

Maulawi sagt: „Wir haben wie die Querpfeife zwei Münder, einer davon ist hinter Seinen Lippen verborgen.“ Er vergleicht die menschliche Seele[12] mit einer Querpfeife, die zwei Öffnungen hat. Gott wird hier mit dem Musikanten verglichen, der das Instrument spielt. Wenn wir diese Musik hören, hören wir sie, wie sie von der für uns sichtbaren Öffnung ertönt. Wir beachten dabei nicht, dass das Instrument eine andere Öffnung auch hat, die im Munde des Musikers verborgen ist, und die wir nicht sehen können.

So sagen sie, dass die Inhalte der anderen Welt sich von dieser unterscheiden. Diese Welt ist die Natur, die Materie, der Körper, die Masse, die Bewegung, die Dynamik, die Änderung. Die andere Welt ist anders, doch sie sind aufeinander abstimmbar.

Diese Welt ist der anderen unterworfen. Was in dieser Welt ist, ist in Wahrheit ein Schatten der Dinge, die in der anderen Welt sind. Sie sind eine Kausalität dieser anderen Welt. Man sagt, dass die menschliche Seele hinaufsteigt. In der Offenbarung wird zuerst ein Aufstieg erwähnt, dann ein Abstieg. Wir sehen nur den Abstieg, die Herabsendung der Offenbarung, die an uns gerichtet ist, doch den Aufstieg, der hier stattfindet. Die Seele des hl. Propheten (s.) steigt zunächst hinauf, und es findet eine Zusammenkunft zwischen ihm und den Wahrheiten der anderen Welt, doch die Art dieser Begegnung können wir nicht erklären. So wie wir manchmal etwas von unserer Umgebung aufnehmen, was von unserer Seele bearbeitet und gesteigert wird, bis es zu einem Teil unseres Verstands und verallgemeinert wird, so nimmt der Prophet (s.) die Dinge auf und verallgemeinert sie mithilfe seines gewissen Talents, bevor das wahrgenommene hinabsteigt. Es steigt in die Sinneswelt der Propheten hinab und lässt sich anschließend in Worte fassen. Dies ist gemeint, wenn von der Herabsendung der Offenbarung gesprochen wird. Es handelt sich um Wahrheiten, die mit einer abstrakten und von der Vernunft wahrnehmbaren Form dem Propheten begegnen, die Stufen der Existenz des Propheten durchlaufen und dann zu einer Wahrnehmung für ihn werden. Sie werden von ihm entweder gesehen oder gehört. Er sieht mithilfe seiner inneren Vorstellungskraft eine abstrakte Wahrheit, und anschließend nehmen seine Augen dieselbe Wahrheit wahr. Dann sieht er den Erzengel Gabriel vor den eigenen Augen. Doch was er mit den eigenen Augen sieht, ist von der anderen Welt hinabgestiegen und zu ihm gekommen (was nach weiteren Erläuterungen verlangt).

So will man den inneren, den äußeren, und den göttlichen Aspekt der Offenbarung ansprechen. Sie ist innerlich, weil sie nicht durch die herkömmlichen Sinne wahrgenommen wird, sie wird durch das Herzen und durch das Innere wahrgenommen. Es gibt einen Lehrer, weil hier wirklich eine Begegnung stattgefunden hat, doch es wird auch betont, dass es sich nicht dringend um einen Lehrer handeln muss, der vom Menschen als materielles Wesen mit seinen Augen oder seinen gesehen oder gehört wird. Es handelt sich hier von einer anderen Art der Begegnung.

Es gibt wirklich einen Lehrer. Dieser wird auch gespürt. Wie etwas, wovon der Mensch träumt oder anhand anderer Fähigkeiten registriert oder hört. Das Thema des Schlafes ist auch sehr wunderlich. Wenn man von etwas träumt, bildet es man sich im Traum nicht ein, man sieht es im Traum. Die Augen setzen aus und sehen nicht, wie sie im wachen Zustand auch sehen. Es ist mehr ein psychisches Sehen und kein physisches. Aus psychischer Sicht können wir auch im wachen Zustand sehen, doch gibt es dafür natürliche Voraussetzungen, die zuerst erfüllt sein müssen. Im Traum ist der psychische Zustand derselbe, wie im Wachen zustand, doch ohne dass gewisse Bedingungen gegeben sein müssten. Es ist nicht notwendig, dass etwas wirklich gesichtet wird, bevor es ihren Weg in die Psyche findet. Es kann auch von Innen kommen, und der Zustand des „Sehens“ wird dennoch erzeugt. Um etwas zu „Sehen“ muss es nicht vorher in der materiellen Welt gesichtet werden. Es könnte aus der verborgenen Welt kommen. Auch im Zustand der Krankheit können solche Dinge allerdings passieren. Manche Dinge entspringen während gewissen Krankheiten der eigenen Vorstellungskraft und erwecken den Eindruck, dass sie tatsächlich gesichtet worden sind. Es handelt sich um Einbildungen, die vorher lediglich als Einbildung vorhanden waren, doch später im Auge der Person materialisiert werden, ohne dass sie aber in der materiellen Welt existieren würden.

Mir selbst ist einmal etwas Ähnliches passiert und ich konnte dies ganz klar sehen. Wir befanden uns seit etwa anderthalb Jahren in Qom. Es war eine sehr merkwürdige Krankheit, es könnte Typhus oder die Masern gewesen sein. Ich kann mich erinnern, dass ich hohes Fieber hatte und plötzlich fühlte, dass ich sterbe. Ich war gänzlich davon überzeugt, dass ich sterben werde. Wie diese Überzeugung zu mir kam, ist mir nicht klar. Ich stieg vom Bett ab und man hatte eine Bastmatte auf dem Boden ausgebreitet. Ich legte mich auf diese Bastmatte und zwar in Richtung Mekkas. Ich spürte wirklich, wie die Seele meinen Körper verlässt. Für etwa ein Jahr fühlte ich alles ganz genau wie es war, als ich daran zurückdachte. Ich fühlte, dass ich mich in den nächsten Momenten von meinem Vater, meiner Mutter, meinen Verwandten und meinen Träumen trennen werde. Wie einem dabei zumute ist weiß nur Gott. Es war ein merkwürdiger Zustand. Danach kühlte mein Körper ab. Könnte daran legen, dass ich mich auf die Bastmatte gelegt hatte, aber mein Fieber ließ nach und ich merkte, dass ich nicht am Sterben war. So lange ich auch wartete, starb ich nicht, so setzte ich mich auf und fing an, Dinge zu sehen. Als erstes fiel mir auf, dass mein Polster anfing, größer zu werden, wie ein Schaf, dass man aufbläst. Ich sah es mit meinen eigenen Augen. Es hatte wirklich keinen Unterschied dazu, etwas wirklich zu sehen, denn im Traum sieht man ja etwas anders, mit einer gewissen Unklarheit. Die Anwesenden dachten, ich würde die Dinge, die ich sage, nur im Fieberwahn sagen doch ich dachte, sie würden sehen, was ich sehen kann. Dann sah ich, wie die Stirn meines Schulfreundes, der Anwesend war, anfing, größer zu werden. Ich fragte ihn, was denn mit ihm passiert. Dann passierte dasselbe mit dem Rest meiner Freunde. Ich sagte ihnen, sie sollen in die Schule gehen, und sehen, ob es auch dort passiert, oder nur in diesem Zimmer? Ich sah dann mit meinen eigenen Augen, dass Dr. Modarresi den Raum betrat und mir Medikamente verschrieb. Ich hörte seine Schritte mit meinen eigenen Ohren (ich kannte seine Schritte, und konnte sie durch das Hören erkennen). Er betrat das Zimmer und sprach zu mir, bevor er mir das Rezept in die Hand drückte. Erst viel später erfuhr ich, dass all dies nicht passiert ist, auch wenn ich es mit eigenen Augen sehen konnte, und ich war völlig perplex. Ich hatte mir über die ganze Zeit eingebildet, dass Dr. Modarresi mich besuchen gekommen war. Etwas, was man nicht sieht und sich vorstellt, das bleibt in seinem Gedächtnis. Man hat ein Bild davon im Kopf. Jemand, der nicht hier ist und an den wir denken, von dem haben wir ein Bild im Kopf. Doch im wachen Zustand sind wir nie dazu fähig, jemanden zu sehen, der nicht hier anwesend ist und sich nicht direkt vor unseren Augen befindet. So intensiv wir es uns auch vorstellen, dass er hier ist, er wird nicht hier erscheinen. Doch was ich sah, sah ich direkt mit meinen Augen. So dachte ich mir, dass das, was die Philosophen sagen, stimmen könnte. Damit wir etwas sehen, also was unsere Psyche wahrnimmt, muss dieses Etwas nicht unbedingt vor unseren Augen stehen. Ich akzeptierte die Theorie, dass man die Dinge, die man im Schlaf sieht, wirklich sieht und sich nicht nur einbildet. In der Traumwelt kann man sich einbilden, dass sich etwas vor seinen Augen befindet, und das ist eine Täuschung. Doch was er dort sieht, ist keine Täuschung. Im normalen Zustand setzt das Sehen die Existenz eines Objekts vor den Augen voraus, doch in manchen Zuständen nicht.

Die Weisen sagen, dass das Sehen daher auf verschiedene Arten stattfinden kann. Auch gewisse Krankheiten gehören dazu, doch ein kranker Mensch ist nur dazu fähig, die Dinge zu „sehen“ die er bereits erfahren hat. In meinem Fall z.B. sah ich Dr. Modaresi, wie er mir ein Rezept übergab, und das lag daran, dass meine Seele mit nichts anderem außer ihm in Kontakt gekommen war, wenn es um Medizin ging. Das führte dazu, dass ich ihn und sein Rezept vor Augen sah.

Das Prinzip kann man also nicht abstreiten. Es spricht also auch nichts dagegen, dass der hl. Prophet (s.), wenn er eine Wahrheit in einer anderen Welt sieht (‚sieht‘ im Sinne von ‚in Berührung kommt‘, einen anderen Begriff dafür haben wir nicht), sie wirklich vor Augen sieht. Hier kann nicht gesagt werden, dass Gabriel nur eine Einbildung war und nicht wirklich existiert hat. Es geht darum, dass ein gesichtetes Objekt entweder eine materielle Manifestation in der materiellen Welt hat, oder eine Manifestation in der Welt des Verborgenen. Existiert das Objekt in unserer Umwelt, so sehen wir es mit unseren Augen, doch wenn es in der übernatürlichen Welt ist, haben wir auch keine Wahl, außer es praktisch vor unseren Augen zu sehen. Das Objekt existiert auf jeden Fall in beiden Welten. Wir sind in beiden Fällen mit etwas Wahrem in Berührung gekommen, doch manchmal befindet sich diese Entität in der materiellen Welt, und manchmal außerhalb davon.

Ich behaupte nicht, und kann nicht behaupten, dass diese Theorie zu 100% zutrifft, und es ist zu diesem Thema noch vieles, anderes gesagt worden. Wie es z.B. möglich war, dass der hl. Prophet (s.) den Engel in Form eines Menschen sieht und wie es sein kann, dass er etwas in der verborgenen Welt sieht, was dann auf diese Welt in einer anderen Form projiziert wird, und sich gar in Worte oder in Form eines Buches manifestiert? Dieses und vieles andere ist noch zur Diskussion offen.

Wie dem auch sei, gilt es, einige Dinge, die die Offenbarung betreffen, zu akzeptieren. Erstens dass sie eine innere Angelegenheit ist, also nicht durch die Sinnesorgane wahrgenommen wird, wofür der Koran das arabische Wort für „Herz“[13] benützt. In der Gnostik wird derselbe Begriff hierfür eingesetzt, wobei hier mit „Herz“ das Innere gemeint ist.

Es wird auch gesagt, dass jemand „Herz hat“ oder auch nicht, und auch dieses Herz ist damit nicht gemeint, dieses Herz besitzen alle. Der Koran sagt:

„Hierin liegt wahrlich eine Ermahnung für den, der ein Herz hat oder zuhört und bei der Sache ist.“[14]

Hier ist jemand gemeint, der eine reine, gesunde Seele hat. Und der „äußere“ Aspekt der Offenbarung kann so erklärt werden, dass man dabei mit etwas wahrem, existenten in Kontakt kommt, nämlich mit einer anderen Welt, und diese Welt existiert tatsächlich.

 


[1]41:12

[2] Es gibt auch Träume, die diesem Zustand zutreffen würden und sich dennoch nicht mit einem normalen Zustand des Körpers oder des Geistes beschreiben lassen. Diese werden wahrhaftige Träume genannt, und die anderen Träume werden vom Koran als „wirre Träume“ bezeichnet.

[3]26:193

[4]93:6-8

[5]11:49

[6]4:113

[7]53:5

[8]20:114

[9]87:6

[10]2:285

[11]Dies ist nicht immer der Fall, weil der Koran selbst von Fällen spricht, in denen es sich anders abwickelte.

[12] Er spricht hier allerdings von der Seele des Gnostikers, dessen Worte die Worte der Wahrheit, Gottes Worte sind.

[13]قلب

[14]50:37

Quellen: Morteza Motahari, Gesamtwerke, Band 4